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Meine Story I: Entwicklung des Kursprogramms und einer Unternehmenskultur

Als ich im Jahr 2006 in das neu gegründete Team der ProCredit Academy      eintrat, wurde ich bald aufgefordert, nicht nur einzelne Workshops und Seminare für zukünftige Manager zu kreieren, sondern letztlich ein komplettes Kursprogramm mitzubauen, das aus 38 Kurseinheiten besteht, die sich über einen Zeitraum von drei Jahren bis zum Abschluss des Programms erstrecken. Bis zu meinem Ausscheiden im Oktober 2022, haben 15 Generation von Teilnehmergruppen und damit etwa 600 Studenten das Programm erfolgreich absolviert. Diese Talente repräsentieren seit langem den funktionellen und ideellen Kern der Unternehmensgruppe in führenden Positionen als Manager, Abteilungsleiter, Team- und Projektleiter und Spezialisten.

 

Die ProCredit Gruppe repräsentierte 2006 eine internationale Bankengruppe, die aus zwanzig noch recht jungen Instituten auf drei Kontinenten bestand, die alle Mikrofinanz betrieben. Als ich anfing, hatte die Anzahl der Mitarbeiter gerade die 20.000er Marke überschritten. Die Akademie wurde gegründet, um sowohl dem Junior-Management als auch den Institutionen selbst einen Lern- und Entwicklungsort zu bieten. Der neu eingerichtete Campus sollte die dringend notwendige kulturelle Integration leisten, um das Unternehmen auf eine eigene, gelebte kulturelle Grundlage zu stellen. Sowohl die konkrete Ausformulierung der ethischen, unternehmerischen und politischen Grundprinzipien dieser Kultur als auch die Vermittlung derselben haben tatsächlich zu einem großen Teil in der Akademie stattgefunden.    

 

Das waren aufregende Zeiten, weil die Ziele ehrgeizig waren und der Raum für Experimente enorm groß. Abgesehen von den erwartbaren Zielstellungen eines Führungskräfte-Training Programms, wie der Vermittlung und Synchronisierung von Bank- und Finanzwissen, sowie dem Training von essentiellen Managementfähigkeiten, investierte das Kursprogramm viel Zeit und Aufmerksamkeit in die Bildung einer Kerngruppe von tatsächlichen und zukünftigen Managern, die die Schlüsselprinzipien einer gemeinsamen Unternehmenskultur teilen sollten. Eine anspruchsvolle Aufgabe der Integration und Transformation, wenn man die äußerst unterschiedlichen kulturellen Hintergründe der Teilnehmer aus Europa, Lateinamerika und Afrika bedenkt.

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Unser Ansatz basierte auf zwei Grundgedanken:

Erstens verbringen die Teilnehmer des Programms beträchtliche Zeit miteinander, insgesamt 34 Wochen auf dem Campus in Deutschland. Sie bilden stabile Lerngruppen, vernetzen sich und bauen Freundschaften auf, tauschen Erfahrungen aus ihren kulturellen Kontexten aus und werden schließlich zu Trägern einer ausgeprägten, geteilten Firmenidentität. Darüber hinaus werden sich die Teilnehmer im Rahmen dieses Integrationsprozesses kulturell bewusster und toleranter, und brechen aus ihrer bisherigen Konditionierung in eher geschlossenen Gesellschaften aus. Als zukünftige Führungskräfte werden sie so zu Rollenvorbildern und Multiplikatoren, die die ethischen Werte einer offenen und liberalen Gesellschaft im täglichen Handeln überzeugend vorleben und vertreten können.

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In der Rückschau nach nunmehr 17 Jahren Praxiserfahrung kann man feststellen, dass dieser Teil des Programms hervorragend funktioniert hat. Die Generationen von graduierten Teilnehmern haben stabile Netzwerke über alle kulturellen und auch trennende politischen Grenzen aufgebaut. Was sie eint, ist das „Erlebnis“ Akademie, das bis heute ein wichtiger Bestandteil der Motivation für viele Mitarbeiter und sogar frisch rekrutierter Talente ist, sich für das zeitlich sehr aufwendige und anspruchsvolle Ausbildungs-programm zu bewerben.

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Die zweite zentrale Idee bestand in der Öffnung des Kurspro-gramms für Themen aus dem geistes- und sozial- und naturwissenschaftlichen Bereich wie z.B. Geschichte, Philosophie, Wirtschaft, aber auch Anthropologie oder Neurowissenschaften. Damit haben wir eine Reihe von Lernzielen verknüpft, wohl wissend, dass wir hier Neuland betreten:

  • die Teilnehmer werden mit unerwarteten Themen und Fragestellungen herausgefordert und so daran gewöhnt, neugierig, flexibel und aufgeschlossen in ihrem professionellen Ansatz und ihrem Lernverhalten zu werden;

  • wir trainieren essenzielle Fähigkeiten des kritischen und analytischen Denkens als Schlüsselkomponenten von Managern und Spezialisten, die für Finanzinstitute mit ehrgeizigen Entwicklungszielen arbeiten;

  • durch die Vermittlung und Diskussion fundierten Wissens über die gesellschaftliche und intellektuelle Entwicklung der Menschheit werden die Teilnehmer befähigt, vernünftige und informierte Meinungen und Positionen zu einer Vielzahl von Themen zu entwickeln und diese auch selbstbewusst zu vertreten

 

Letztlich sollten die Teilnehmer diesen Teil des Kursprogrammes nutzen, um die menschliche Entwicklungsgeschichte und Philosophie für sich selbst zu entdecken, ihren intellektuellen Horizont zu erweitern, um sich zu emanzipieren und letztlich zu Trägern einer aufgeklärten, im besten Sinne liberalen Firmenkultur, zu werden. Der Begriff der Liberalität, so wie wir ihn verwenden, basiert auf dem während der europäischen Aufklärung herausgearbeiteten Menschenbild:

  • rational denkend,

  • emotional kompetent und empathisch,

  • moralisch verantwortlich für die eigenen Entscheidungen und Handlungen,

  • gleichberechtigt als Träger von Grundrechten

  • individualistisch mit dem Wissen um die Abhängigkeit von und einem Sinn für die Bedürfnisse der Gesellschaft.

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Ich werde in einem gesonderten Blockbeitrag eine ausführlichere Einschätzung zum Nutzen und den möglichen Effekten sozial- und geisteswissenschaftlicher Themen auf die Aus- und Weiterbildung von Führungskräften und die Etablierung einer Firmenkultur liefern.

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Als Trainer und Coach bin ich mit der Herausforderung gewachsen, mit einer sehr heterogenen Gruppe von Lernenden umzugehen, die zudem gerade während der Anfangszeit die wissenschaftlichen Exkurse und Themen als exotisch und teilweise irrelevant für ihre professionelle Entwicklung angesehen haben. Eine skeptische Zielgruppe ist die ultimative Challenge für einen Trainer! Wenn man es schafft, überwiegend pragmatisch denkenden Managern von Banken die Philosophie der Aufklärung näherzubringen, und sie am Ende ihre intensiven Diskussionen über Kants kategorischen Imperativ in den Pausen und Abenden auch ohne Zutun des Trainers fortsetzen, erscheint alles möglich.

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Was letztlich zum Erfolg des Programms beigetragen hat, war ein großer methodischer Baukasten, der das Grundprinzip der ständigen Teilnahme und Interaktion im Unterricht sicherstellen sollte. Es klingt fast zu banal oder einfach, um es zu betonen, aber wir waren gerade am Anfang mit einem starken Bias autoritärer schulischer und universitärer Bildungssysteme konfrontiert, das es zu überwinden galt. Wir wollten eine zum Nachdenken und Mitmachen anregende Lernatmosphäre schaffen, und eine inklusive Diskussionskultur etablieren, um die Teilnehmer zu ermutigen und zu ermächtigen, als handelnde Akteure aufzutreten. Die Förderung und sogar Durchsetzung aktiver Partizipation der Teilnehmer durch eine breite Palette von Methoden wie Diskussionen, Debatten, Präsentationen, Gruppenprojekten, Rollenspiele oder auch Planspielen wurde zu einer festen Routine in allen Kursen. Zudem haben wir über die fortlaufende Evaluation des Verhaltens und der Entwicklung unserer Teilnehmer indirekt Einfluss genommen, indem wir die quantitative und qualitative Dimension von Partizipation gemessen und zum Thema von Feedbacks und Entwicklungsgesprächen gemacht haben. Bloßes Zuhören oder nur stille Teilhabe an den Kursen wurde nicht akzeptiert. Unsere Coaching-Bemühungen zielten darauf ab, Wege und Hilfestellungen anzubieten, sich als Teilnehmerin zu aktivieren, um tatsächlich von dem Lernangebot zu profitieren.

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